Montag, 7. März 2011

Namak - Uppu

Zwei sehr hilffreiche Begriffe für Deutsche, gerade in Hyderabad. Hindi und Telugu für "Salz". Das weiße Gold hat letzte Woche ein große Rolle hier gespielt.
Wie im letzten Post erwähnt, gingen am Nachmittag des 20.2. Luis und ich zur Nampoli Station in Hyderabad um gemeinsam mit Klasse 5, angeleitet von der netten Lehrerin Vineeta, in den Zug nach Mumbai zu Steigen. Klassenfahrt! Es fing nicht unbedingt einfach an. Die Klasse ist groß, laut und ist in der Schule als "Are-Klasse" bekannt. Die Sätze der Kinder fangen mit "Are" an, hören damit auf und man kann jedes Wort nach belieben mit dem Suffix "-re" erweitern. Anfänglich sehr irritierend, furchtbar eintönig und das schlimmste ist, es ist ansteckend.
Trotzdem hab ich alle Kinder lieb gewonnen, wenn auch manche erst nach mühseligen Eskapaden. Die Zugfahrt nach Mumbai dauert natürlich 16 Stunden, ist aber Landschaftlich lohnenswert. Und Mumbai ist es sowieso! Es war nur eine Zwischenstation auf unseren Weg in den Gujarat, hat aber durchaus Charm.  Luis formuliert es ganz gut: Baustile und Charm von Paris und Barcelona gemischt. Nicht zu vergessen die Autos und Busse die einem vorgaukeln, man sei in London, häßlich umrandet von gigantischen, unvorstellbar dreckigen Slums. Doch allein der Weg zum Gateway of India, die Bucht und der Stadt-Strand(!) sind schön und machen Lust auf mehr. Mehr hatten wir allerdings noch vor uns, den Abends ging es schon weiter nach Gujarat, genauer gesagt nach Bhuj.
Gujarat ist der geografisch westlichste Staat Indiens, größtenteils aus einer Art Halbinsel. Bhuj ist allerdings die Hauptstadt Region namens Kutch, welche die gesamte Südseite Pakistans entlang geht.
An dieser Stelle etwas Vorgeschichte, um mein späteres Gequassel nachvollziehen zu können. Gujarat ist vollkommen vegetarischer und trockener (die Rede ist von C2H6O, nich von H2O) Staat, und erlangte vielleicht seine größte Berühmtheit durch die Tatsache, das M.K.Gandhi dort geboren wurde. Kutch allerdings ist eine Region, die früher in der Regenzeit zu einer Insel wurde, durch das viele Wasser ist quasi das arabische Meer expandiert und hat den Kutch als Insel hinterlassen. Klingt komisch ist aber so. Kutch ist Gujarati und bedeutet Schildkröte.
Das war aber nur bis vor 120 Jahren so! Ein heftiges Erdbeben sorgte dafür, dass dieses riesige Ebbe-Flut-Spiel ein Ende fand und machte die Gengend noch trockener als sie vorher schon war (H2O).
Weil das noch nicht genug Erdbeben war, gabs vor 10 Jahren dann noch eins. Die Hauptstadt Bhuj, Alte Denkmäler, historische Bauten, mittelalterliche Architektur - alles Kaputt. Kaum ein Stück bauwerkliche Kunst hat das Beben verschont.
Klingt wie das Ende der Geschichte. Warum sollte eine Klassenfahrt genau dort hingehen?
Unsere Lehrerin Stand im Kontakt mit einer organisation, die Versucht, alles was dabei drauf gegangen ist, wieder in Ordnung zu bringen. Den auch die Kultur dort hatte zu leiden. Auf Grund von Wasserarmut und Obdachlosigkeit verschwanden die dörflichen Struckturen, traditionelle Kunst und Wissen ging verloren, Sprachen wie Kutchi verschwanden und Leute verarmten.
Wir waren also vor Ort mit den Leuten die wussten was los war und die versuchten herauszufinden, was man dagegen tun kann. Und jetzt geht der Reisebericht weiter:
Erster Tag. Angekommen am Bahnhof wurden wir von drei Jeeps abgeholt, die im Kutch unser Transportmittel sein sollten. Wir fuhren zu einem einem Dorf, welches traditionelle Handwerkskunst der Gegend wieder hat aufleben lassen und den Leuten wieder einen Grund zum Leben in ihrer Heimat gegeben hat. Ausgerechnet dieses Zeug ist in ganz Indien bekannt, erhältlich, sehr begehrt und wird nur dort produziert. Selbst ausserhalb ist sind die Muster, Klamotten mit eingenähten Spiegeln, Patchwork-Teppiche, Batik Schnick-Schnack(Ja, von da kommts!) und Schmuck-Kram bekannt und kann bei "Nanu-Nana" oder "Chapati" selbst in Deutschland erstanden werden. Es handelt sich um die örtliche Mode, aber ein Bild sagt mehr als tausend Worte:


Die Menschen dort sind recht fotoscheu und ich würde niemals eine solche Aufnahme machen ohne zu fragen. Ein kleiner Schnack auf Hindi wirkt da echte Wunder, man rückt doch ein ganzes Stück näher an die Leute heran. Dieser Kronenkorken an ihrer Nase hat mich minutenlang gefesselt.

Dort gab's auch das erste mal die örtliche Küche als Verköstigung. Ich fand es ein wenig beunruhigend als mir erzählt wurde, die Küche zeichne sich dadurch aus, dass überall Zucker ans Essen gemacht wird. Doch es war traumhaft. Süßes Dahl (Linsen) mit leckeren, dicken Rotis fast schon mit Schwarzbrotcharackter, wundervoll zubereitete Sabsi's (Gemüse), Lemon-Rice mit Erdnüssen und Granatapfel und andere Schmankerl gabs dort zu entdecken.
Sinn der ganzen Geschichte war, das die Kinder selber an die Webstühle, Blockprintbänke und Batikstuben konnten, um einen Eindruck von der ganzen Sache zu bekommen. Und alle hatten Spass dabei.
Der nächste Tag war der Knüller! Rein in die Jeeps und los ging's drei Stunden durch das nichts nach Lakhpat.


Ein wildes Kamel mitten im Nirgendwo. Zwei Dörfer passierten wir auf diesem Weg über die Zeit.

Lakhpat ist ein Unglaublich interessanter Ort. Als Fort noch zu Erkennen liegt es Heute irgendwo zwischen dem Nichts und er Wüste, war aber vor dem ersten grossen Erdbeben eine ganzjährige Hafenstadt und wichtigster Handelspunkt zwischen Afrika und der Region des heutigen Pakistans, dessen Grenze nur 12 Km entfernt liegt.
Der Name Lakhpat stammt von dem Wort Lakh ab, das selbst im modernen Indien die Mengenbezeichnung ist für "Zehntausend", also 10.000 irgendwas. In den guten alten Zeiten wurde täglich ein Lakh der damaligen Währung erwirtschaftet. Ruinen ehemaliger Prunkbauten zeugen von diesem Reichtum. Heute ist es mehr oder weniger eine Geisterstadt, unsere Organisation ist fleissig am restaurieren und forschen, doch all zu viele Menschen hat es an diesen Gottverlassenen Ort nicht gehalten.
Bis auf, und das bestätigt das indische Sprichwort "Kartoffeln und Punjabis findet man überall auf der Welt", eine kleine Kommune von Sikh's, Sardar's wie auch immer.
Für alle die nicht wissen was das bedeutet: Sikhismus ist (alle Religionswissenschaftler Augen zu) eine Mischung aus dem Hinduismus und dem Islam aus dem Punjab stammend gegründet von Guru Nanak. Männliche Sikhs erkennt man auf 14 Kilometer gegen den Wind auf Grund ihrer Turbane und des Beinamen "Singh". Indiens Premier, Dr. Mannmohan Singh ist so einer. 
Besagter Guru hat in Lakhpat zweimal gewohnt  auf der durchreise nach Mekka. Das Haus ist heute ein "Gurudwara" = Sikhtempel. Ich hege eine gewisse Faszination für diese recht bemerkenswerte Religion, weshalb ich so aus dem Häuschen war.
Hinter der Stadtmauer, beginnt das, was früher mal Meer war.


Mir ist der Atem stehen geblieben. Eine kleine Anekdote zum Thema Indien-Pakistan möchte ich an dieser Stelle loswerden.
Die Hand voll Leute in Lakhpat waren ein gesunde Mischung aus Moslems, Hindus und Sikhs, alle Gotteshäuser sind vertreten und das war schon früher so. Auf der Fortmauer ist bei jedem Turm eine Wellblechhütte. Wir gingen zu einer, da man Ausländer nicht so einfach die Wüste betreten darf die so nahe an Pakistan liegt. Auf dem Turm angekommen sitzen zwei gelangweilte Soldaten. In der Mauer ist Fach, dort steht eine leere Schnapsflasche, auf einer Pritsche und an die Wand gelehnt befinden sich zwei geladene AK-47 Sturmgewehre, meterweit und ungesichert von den beiden Herren entfernt. Der eine schaut ab und zu gelangweilt Richtung Erzfeind. Ich spreche sie auf Hindi an und halb überrummpelt kommen sie ins Gespräch:

- "Ist schon mal einer rüber gekommen?"
- "Nich das wir wüssten."
- "Kann man Pakistan sehen?"
- "Nein, nur Wüste, Wüste, Wüste."

Recht absurde Situation. Jeder Hobbyschütze hätte hier schlimmeres verrichten können als diese beiden Herren jemals verhindern könnten mit dem was sie tun.

Es folgt ein weiterer Tag mit Handycraft, am Tag darauf schauten wir uns die Salzwüste an, der Teil der Wüste, wo das Salzwasser ohne Salz davongegangen ist - und dabei eine komplett weiße Ebene zurückließ die unglaublich beeindruckend und sehr heiß ist. Leider fehlt mir grad ein passendes Foto dazu.
Auch der Palast von Bhuj ist interessant. Westlicher Baustil, total zerstört und schlagartig verlassen. Die grosse Empfangshalle und der Königstron Stehen da als wäre 2001 einfach alles stehen und liegen gelassen. Luxuriöser glanz, verstaubt nach 10 Jahren. Der große Glockenturm, ein kleiner Nachbau des Big Ben steht da, als hätte ein Riese dagegen geschnippst. Der obere Teil ist verschobe, Steine fehlen und alles wird mit einem riesigen Schürsenkel zusammen gehalten. Luis und ich durften sogar hoch, weil uns Wärter wohl nett fanden oder so, selbst die Klasse durfte nicht. Absurder weise ist das Schloss voller ausgestopfter Tiere, darunter Löwen, Tiger, Hirsche, Nilpferde, Bären und andere. Nicht nur Köpfe, sondern auch ganze Körper, die nun Synchron mit dem Schloss zerfallen. Die Atmosphäre war mehr als gespenstisch!

Das ist längst nicht alles was es von diesem Ort zu erzählen gibt. Besonders die Kultur, die Menschen, ein paar andere Sachen die wir gesehen haben... Dieser Ort ist reizvoll und faszinierend und hat mein Hirn durchweg auf Trapp gehalten, Eindrücke, Bilder, Situation und Geschichte zu verarbeiten.
Auch hier kann ich gerne mehr bei einer Tasse Tee mehr von erzählen, dann aber nicht über das Internet.

So, ich muss jetzt schlafen, dieser Blogpost hat wieder drei Stunden meiner wertvollen Schlafzeit geraubt. Man vergisst die Zeit weil es Spass macht. 
Wenn alles klappt treffe ich schon nächsten Samstag mein Schwesterherz und Lajos, dann aber auf der anderen Seite dies wundervollen Landes, in Hampi, Karnataka.
In diesem Sinne.

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