Mittwoch, 8. Dezember 2010

"Hindi baatkaro" oder auch "Kleider machen Leute" - Ob Inder oder Sahib

Mein lang erwarteter Besuch hat mir jede möglichkeit geraubt, nach meiner letzten Reise einen neuen Post zu schreiben. Froh bin ich deshalb nicht, das Franca und Nina weg sind, aber dafür hab ich wieder Zeit was aus dem fernen Räucherstäbchenland zu erzählen! 
Die beiden haben mich endlich mal dazu gebracht, europäisch bzw. italienisch zu kochen! Zwei lustige Wochen hatten wir, quasi ein Stück zu Hause. Um hier keine Kochrezepte zu schreiben, fang ich einfach bei unserem großen Weinachtsbazar in der Schule an, der letzten Sonntag war. Die ganze Schule wurde umgestylt mit massig Ständen, einer Bühne, Spielen, Aktivitäten und sogar einem Kamel zum drauf reiten. Ich war zuerst bei einem der Essensbuden untergebracht, wurde dann aber zu den Spielebuden degradiert, genau wie Luis. Nina und Franca waren bei den Handarbeitsläden. Das ganze ging den ganzen Sonntag und ca. 700 Leute waren dort u sich bei 30° C mit ner Schale Biriyani  klassische indische Tänze anzusehen. Der Bazar war ein großer Erfolg. Nicht ohne Grund wurde Sloka kürzlich zur zweitbesten Schule Hyderabads und zur fünfzehntbestem in ganz Indien gewählt! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, vor allem wenn man bedenkt, dass das eigentliche Schulgebäude noch nicht mal fertig ist und alles auf non-profit basiert!
Nach der Schule ging es gleich weiter zum nächsten großen Event: Einer "Wedding-Reception". Wir vier fuhren zu Chintan um uns in (indische) Schale zu werfen. Grund war, Der Sohn einer Kollegin hat letzte Woche geheiratet, in Jaipur, Rajasthan. Keine große Sache denk man sich als Deutscher, aber falsch gedacht! Ein riesiger Raum wurde gemietet, der so geschmückt war, dass man denken konnte, goldene Seidenstoffe wären grad im Angebot. Nicht weniger als 3.000 (!) Leute waren geladen, auf einer Bühne stand das Brautpaar in einer Montur der selbst 1001 und eine Nacht-Geschichten nicht würdig wurden. Alle Gäste kommen zu dem Paar, natürlich kennen sich die Leute nicht, wünschen alles gute und bewundern die fluoreszierende Braut neben ihrem Bräutigam, dessen Anzug im Gegensatz zu seiner Frau fast langweilig wirkt.
Die Fotografen reißen sich um ein Foto mit dem Paar und den vier weißen, dann geht's zur Mutter.
Diese, sichtlich von den feierlichkeiten ermüdet: "Schön euch zu sehen! Geht zum Buffet, esst euch satt und geht." 
Das war keinesfalls eine Geste der Unfreundlichkeit, sondern ein Wunsch aus tiefstem herzen.
Das essen war fantastisch, nur war ich erstaunt, das alle unsere Begleiter der Bitte nachkamen und sich schon wieder auf den Weg machten. Nicht nur das, alle Gäste handelten so. Komisch. So ein Aufwand, von Leuten mit AK's bewaffnet bewacht, für 40 Minuten Bauchvollschlagen. 


Die vier Sahibs im Dress.

Am nächsten Tag waren's dann nur noch zwei, wieder mal.
Aber nun zur Überschrift. Es gibt ein Sache, die mir schon lange auf dem Herzen liegt, für die ich nach einer Lösung gesucht hab. Hier in Indien zu sein, bedeutet für mich, so viel möglich von Land, Leute, Kultur usw. zu sehen, zu spüren, zu lernen und zu leben. Aber wie soll das funktionieren, wenn überall auffällt wie ein bunter Hund und immer ein special treatment erfährt, sei es zum eigenen Vor- oder Nachteil? Ich bin nunmal kein stereotyper Inder und werd es auch nicht so schnell werden, zumindest nicht was mein Äußerliches betrifft.
Was also tun, um mein "Indien-erleben" in die Tat umzusetzen? Ich lauf ja schon mit traditionellem Kopftuch rum und lass meinen Bart unrasiert, aber es reicht nicht. Von den Klamotten mal abgesehen.
Diesen Montag hatte ich die Idee, man könnte meinen, ich war in Experimentierlaune. Jeden Montag gegen halb 8 Abends fahr ich nach Naampoli, einer sehr einfachen, historischen und doch armen Gegend um dort meinen Tablalehrer Gajender zu besuchen. Es ist zwar immer anstrengend dort immer hinzufahren da es weit weg ist, der Tag immer hart ist und ich wir erst spät nach Hause kommen, aber ich freu mich jedes mal darauf.
Luis hatte Kopfschmerzen und ich wusste, das ich alleine dort hinfahren werde.
Diese Gelegenheit wollte und musste ich nutzen um mal ganz allein in der Menge unterzutauchen. Also zog ich mir eine lange, schwarze Kurta, einen Schal als Mundschutz für den stinkigen Verkehr und meinen Turban an. Nur meine Größe und meine blauen Augen konnte ich nicht verdecken, aber selbst hier gibts mal grosse Menschen und da es ab sechs Uhr stockdunkel wird, hoffte ich darauf, dass die Augen nicht so auffallen.
Nein, der Turban ist kein festlicher fertig-Turban, sondern ein großes schlichtes Tuch welches richtig gewickelt meine Haare komplett verdeckt, keine Seltenheit hier. Und ja, ich kam mir auch erst komisch vor. Dieses mal wollte ich auch das erste mal mit den Öffentlichen dort hin. Nicht, dass ich die sonst nicht beutze, aber der "127K" ist um diese zeit immer rappelvoll.
Der Bus kam und die Leute hingen wie gewohnt aus beiden Türoffnungen heraus wie überkochende Milch. Ich musste ein paar Meter mit dem nicht wirklich anhaltenden Bus mitrennen, so wie immer, ergatterte aber schnell einen Platz im sicheren Inneren. Ich war sehr nervös! Normalerweise staunen die Leute wenn Weiße mit den "einfachen" Leuten Bus fahren anstatt sich ein bequemes Tuk-Tuk zu leisten. Würde meine Tarnung auffliegen?
Nach dem mir dann 10 Leute auf die Füße getreten sind kam der Ticket-Walla. Ohne zögern brabbelte er mich auf Telugu zu und ich freute mich einen Ast. Er hatte mich nicht erkannt. In meinem wohlgepflegten Hindi sagte ich "Mudschhe Nampoli Station dschana he", drückte ihm 20 Rupien in die Hand und freute mich darauf, die nächsten 45 Minuten im Bus nicht angestarrt zu werden. Doch der Walla durchkreuzte meine Pläne, den er gab mir auf Hindi zu verstehen, dass der Bus nur bis Abyss fährt, und dass er er kein Wechselgeld hat. Auf einen solchen Dialog war ich nicht vorbereitet, ich hatte ihn verstanden, brachte aber nur ein freundliches "Accha, thik he" hervor (In Ordnung, geht klar), nahm mein Ticket und nickte. Er nickte auch und trotz Angstschweiß konnte ich meine Maskerade aufrecht erhalten. Das war priorität!
Ich bekam mein Wechselgeld noch, wurde dann aber an der großen Markstrasse Abyss rausgeworfen. Ich wusste, dass mein Ziel mehr als eine Dreiviertelstunde zu Fuss entfernt lag. Also zog ich die Hindi-Tour beim nächsten Riksha-Walla ab. Auch er schien mich nicht entlarvt zu haben und ich feixte vor mich her. Keiner hatte mich soweit erkannt, auch wenn sie auf meinen Füßen standen. Er machte mir das fairste Angebot seit dem ich hier war und kam zur Nampoli Station.
Mit dem Wissen, als Inder durchzugehen kaufte ich mir noch auf Hindi ein Wasser und kam bei meinem Lehrer voller Euphorie an. Ich hatte mein Ziel mehr als erreicht! Ich bewegte mich auf Indiens Strassen ohne angestarrt zu werden, die Leute verhielten sich völlig normal, redeten nicht in Englisch und machten mir faire Preise.
Nach der Stunde ging's natürlich zurück, diesmal aber mit der Autoriksha. Ich stieg zu einem Fahrer der offensichtlich Moslem war, bei ihm saß ein Freund am Steuer. Wieder regelte ich die Formalitäten in Hindi. Man muss dazu sagen, dass ich fast Akzentfrei Hindi spreche, auch wenn mein Wortschatz jämmerlich ist. Da ich ausserdem sehr gut "Hinglish" spreche und die dieser Patois sich wunderbar mit Hindi vermischen lässt, enstanden kaum Probleme. Auch dieser Fahrer stimmte ein. Die beiden unterhielten sich am Steuer auf Urdu, bis sich der eine umdrehte und mich fragte, ob ich Shiit oder Sunit sei. Ich war völlig perplex, ich reimte mir schnell was zusammen. Die Story, die ich sei ein Sikh aus dem indischen Punjab wurde ohne Zweifel akzeptiert. Ich konnte es nicht fassen. Erst später erfuhr ich, dass es der Tag vor einem Muslimfeiertag sei, an dem alle Shiiten schwarz tragen, so wie ich es tat.
Am Ziel angelangt fragte mich der Beifahrer, der skeptisch war erneut auf Hindi, ob ich Hindi spreche. Ich antwortete sofort " Ha pakka" (Ja sicher) und er gab sich zufrieden. Auch der Fahrer fragte erneut nach Religion, ich müsse doch Shiit sein. Ich konnte nicht mehr. Ich lachte, nahm meinen Turban ab und gab meine Idendität Preis. Zu meinem erstaunen schienen die beiden sichtlich erfreut über die Tatsache, dass ich sie veräppelt hab
Sie strahlten mich an, winkten und riefen mir "baya" (Bruder) zu als sie wegfuhren. Für vier Stunden war ich nun Inder gewesen und hatte einen riesen Spass. Ausserdem glaube ich, meinem Ziel ein Stückchen weit näher gekommen zu sein.